Polymind Creative Learning

Unterschiedliche Funktionen des Diminutivs im Deutschen

In unserem letzten Artikel haben wir uns angeschaut, wie der Diminutiv bzw. die Verkleinerungsform auf Deutsch gebildet wird. In diesem Artikel befassen wir uns mit der Verwendung des Diminutivs.

Wie wir bereits gelernt haben, gibt der Diminutiv in seiner Grundbedeutung an, dass es sich um ein besonders kleines Exemplar eines Gegenstands oder Lebewesens handelt. So ist ein Häuschen ein kleines Haus, ein Kätzchen eine kleine Katze usw.

Doch ein Diminutiv kann noch viel mehr ausdrücken, denn der Fokus auf die geringe Größe ist nicht immer wertungsfrei. So kann dadurch unter anderem Niedlichkeit, Vertrautheit, Untertreibung, Verharmlosung, aber auch Abwertung und Drohung impliziert werden.

In den folgenden Abschnitten widmen wir uns diesen unterschiedlichen Funktionen des Diminutivs.

Diminutiv zur Verniedlichung

Aufgrund angeborener Instinkte finden wir kleine Lebewesen, aber auch kleine Gegenstände, besonders niedlich. So drückt der Diminutiv Kätzchen nicht nur aus, dass es sich um eine kleine Katze handelt, sondern stellt auch die Niedlichkeit der Katze in den Vordergrund.

Dies ist vor allem bei Tieren, die wir von Natur aus als niedlich empfinden, der Fall. So sind die Diminutive Kätzchen, Hündchen, Häschen, Mäuschen oder Vögelchen üblich. Für Diminutive wie Elefäntchen, Giräffchen oder Wälchen findet man hingegen kaum Beispiele im natürlichen Sprachgebrauch.

Diminutiv in der Kindersprache

Aufgrund seiner Funktion zur Verniedlichung wird der Diminutiv besonders häufig in der Sprache mit Kindern verwendet. Den folgenden Satz würde man sicher nicht zu einem Erwachsenen, sondern nur zu einem Kind sagen:

Tut dir dein Bäuchlein weh?

Man könnte vielleicht meinen, dass der Diminutiv hier nur deshalb verwendet wird, weil Kinder einen kleinen Bauch haben. Wenn Eltern einem Arzt von den Bauchschmerzen ihres Kindes berichten, würden sie jedoch eher vom Bauch als vom Bäuchlein ihres Kindes sprechen.

An diesem Beispiel sieht man, dass nicht nur die Größe des Bauches eine Rolle spielt, sondern auch der Aspekt der Verniedlichung.

Diminutiv zur Vertrautheit

Ein weiterer Grund, warum der Diminutiv besonders häufig in Gesprächen mit Kindern vorkommt, ist, dass er auch Vertrautheit ausdrücken kann.

Diminutive vermitteln oft ein Gefühl des Schutzes und der Fürsorge. Indem man etwas oder jemanden als klein und niedlich beschreibt, drückt man implizit aus, dass man diese Person oder dieses Objekt beschützen und sich darum kümmern möchte.

Daher wird der Diminutiv oft auch als Koseform unter Liebhabern verwendet, um die Beziehung liebevoller, intimer und vertrauter zu gestalten. Hier ein paar gängige Anreden für Liebespartner:

  • Schätzchen
  • Liebchen
  • Mäuschen

Durch die Verwendung von Diminutiven wird die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern als besonders nah und vertraut markiert. Diese Form der Sprache signalisiert, dass man sich gut kennt und eine persönliche Bindung besteht.

Diminutiv zur Untertreibung

Der Diminutiv kann jedoch auch dazu dienen, um die Ernsthaftigkeit oder das Ausmaß einer Sache herunterzuspielen oder zu verharmlosen. Hier ein paar Beispiele:

  • Ich habe ein kleines Wehwehchen.
  • Wir müssen noch ein Stückchen fahren.
  • Ich hatte ein kleines Problemchen mit dem Auto.

Die korrekte Interpretation hängt natürlich vom jeweiligen Kontext ab, in dem der Satz gesagt wird. Es ist möglich, dass die Schmerzen tatsächlich nicht so schlimm sind, nur noch eine kleine Strecke zurückgelegt werden muss, und das Problem mit dem Auto nur eine Kleinigkeit waren.

Es ist aber auch möglich, dass der Sprecher das Ausmaß nur herunterspielen möchte und es sich eigentlich um größere Schmerzen, eine weite Strecke und ein schwerwiegendes Problem handelt.

In manchen Sätzen ist nur eine der beiden Interpretation möglich, da die andere keinen Sinn ergibt. Das ist zum Beispiel in diesem Satz der Fall:

Danach hatten wir noch immer ein hübsches Sümmchen übrig.

In diesem Satz meint der Sprecher das genaue Gegenteil von dem, was ein Diminutiv normalerweise ausdrückt: ein hübsches Sümmchen drückt aus, dass der Sprecher nicht wenig, sondern viel Geld übrig hatte.

Diminutiv als Abwertung

Indem man Wörter mithilfe des Diminutivs verniedlicht, kann man ihre Ernsthaftigkeit oder Autorität auch untergraben, und sie somit abwerten. Hier zwei Beispiele:

  • Das ist ja ein niedliches kleines Häuschen, kein richtiges Haus.
  • Unser neues Chefchen hat ja tolle Ideen.

Indem man ein Haus als ein Häuschen bezeichnet, kann man ausdrücken, dass es nicht die Kriterien eines richtigen Hauses erfüllt. Dadurch wird oft eine abwertende oder herablassende Haltung gegenüber dem Objekt vermittelt. Es kann auch bedeuten, dass das Haus nicht den Erwartungen oder Standards des Sprechers entspricht.

Die Bezeichnung einer Führungsperson als Chefchen impliziert ebenfalls, dass die Person nicht die nötigen Qualifikationen für diese Position besitzt und nicht ernst genommen wird. Der Ausdruck tolle Ideen ist aufgrund des Diminutivs Chefchen eindeutig sarkastisch gemeint und unterstreicht die Geringschätzung gegenüber der Führungskraft.

Diminutiv als Drohung

Ähnlich der Abwertung kann ein Diminutiv auch dazu verwendet werden, um eine andere Person als unwichtig abzutun und ihr zu drohen. Hier ein Beispiel:

Freundchen, so geht das nicht.

Der Diminutiv Freundchen wird fast ausschließlich in drohendem, möglicherweise leicht aggressivem Kontext verwendet. Die angesprochene Person ist mit großer Wahrscheinlichkeit kein Freund des Sprechers.

Vielmehr verwendet der Sprecher diese Bezeichnung, um in die Privatsphäre dieser Person einzudringen und ihr unangenehm nahe zu kommen. Die freundschaftliche Nähe, die der Begriff Freund ohnehin ausdrückt, wird durch den Diminutiv zusätzlich verstärkt. Andererseits wird die angesprochene Person durch den Diminutiv als klein und nicht ernst zu nehmen abgetan.

Ähnlich können auch Diminutive wie Kerlchen, Bürschchen oder Schätzchen in herablassendem oder drohendem Ton gebraucht werden.

Verselbständigte Diminutive

Einige Diminutive haben sich im Laufe der Zeit „verselbständigt“. Das heißt, sie werden mittlerweile als eigenständige Wörter betrachtet. In einigen Fällen existiert das ursprüngliche Nomen weiter, doch hat die Bedeutung des Diminutivs davon entkoppelt. Hier ein paar Beispiele:

  • Brötchen: kleines Gebäck
  • Frauchen: Hundebesitzerin
  • Fräulein: unverheiratete Frau (heute selten verwendet)
  • Herrchen: Hundebesitzer
  • Hörnchen: Croissant
  • Höschen: Unterhose einer Frau
  • Körbchen: Teil eines BHs
  • Männchen: männliches Tier
  • Stäbchen: Essstäbchen

In anderen Fällen ist das ursprüngliche Nomen komplett aus dem Wortschatz verschwunden oder äußerst selten. Hier ein paar Beispiele:

  • Eichhörnchen: ursprünglich Eichhorn
  • Kaninchen: ursprünglich Kanin
  • Märchen: von Mär (= unwahre Geschichte)
  • Nickerchen: kurzer Schlaf
  • Plätzchen: Keks
  • Radieschen: ursprünglich Radies
  • Weibchen: weibliches Tier; von Weib (= veraltete Bezeichnung für Frau)
  • Veilchen: Blume

Es gibt auch einige zusammengesetzte Nomen, wo ausschließlich der Diminutiv verwendet wird, während das ursprüngliche Nomen alleine nach wie vor verwendet wird:

  • Erdmännchen: Tier
  • Essstäbchen: Besteck
  • Fischstäbchen: Essen
  • Maiglöckchen: Blume
  • Meerschweinchen: Tier
  • Ohrläppchen: Körperteil
  • Rotkehlchen: Tier
  • Schneeglöckchen: Blume
  • Seepferdchen: Tier
  • Silberfischchen: Tier
  • Stiefmütterchen: Blume

Das Nomen Mädchen ist ebenfalls ein verselbständigter Diminutiv, was auch erklärt, warum man das Mädchen sagt. Wir haben uns in unserem letzten Artikel näher damit befasst.

Fazit

Während sich unser letzter Artikel mit der Bildung des Diminutivs befasst hat, wurden in diesem Artikel einige unterschiedliche Verwendungen des Diminutivs näher beleuchtet. In seiner Grundbedeutung drückt der Diminutiv eine besonders geringe Größe der Sache oder des Lebewesens aus.

Da die Betonung der geringen Größe jedoch nicht immer wertungsfrei ist, ergeben sich unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten des Diminutivs. Verbunden mit der geringen Größe kann der Diminutiv Niedlichkeit, Vertrautheit, Verharmlosung, Untertreibung, Abwertung und Drohung ausdrücken.

Einige Diminutive haben sich zudem „verselbständigt“ und vom ursprünglichen Nomen entkoppelt. In einigen Fällen ist das ursprüngliche Nomen komplett aus dem Wortschatz verschwunden.

Lerne jetzt Deutsch mit uns! Polymind bietet Deutschkurse in Wien und online. Schau dir unser Kursverzeichnis an oder kontaktiere uns für weitere Informationen. Wir freuen uns, von dir zu hören!

Ähnliche Beiträge